Skip to main content Skip to page footer

750 Jahre Mückenloch: „Das waren Verhältnisse, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“ - Teil 3

Sechs Herren, gestandene Mückenlocher, schauen zurück auf die Erinnerungen ihrer Kinder- und Jugendzeit. Damals, als die Straßen in Mückenloch unbefestigt und nicht geteert waren, als es noch das Milchhäusel gab, in der die gemolkene Milch zum Abholen für den Heidelberger Lkw von den Jungen abgeliefert wurde. Zu einer Gesprächsrunde, organisiert vom stellvertretenden Ortsvorsteher Willi Wallstab, hatten sich Walter Kirchner, Karl Linnebach, Peter Ehrenreich, Harald Suchomel und Heinz Kilian im Gebäude der Ortsverwaltung und Feuerwehr zusammengefunden, an Altersjahren allesamt in den 70ern und 80ern beheimatet.

Fußverkehr nach Neckarsteinach

In ihrer Kindheit erlebten sie teilweise die Entbehrungen der Kriegsjahre und der Nachkriegszeit. Mückenloch war vor den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem landwirtschaftlich geprägt. Das änderte sich in der Zeit vor den Dreißigerjahren, als sich Inflation und Arbeitslosigkeit einstellten und sich Mückenloch zur Arbeitergemeinde wandelte. Beschäftigung fand sich für beinahe ein Drittel in den Nachbarorten und Städten. Vor allem Richtung Neckarsteinach herrschte reger Fußverkehr.

Erstes Auto 1935

Es gab noch zwei oder drei Haupterwerbsbauern und einige Landwirte im Nebenerwerb. Damals war der spätere Ortsteil von Neckargemünd verkehrsmäßig nur spärlich erschlossen. Zumeist mit Pferde- oder Ochsenkarren wurden erforderliche Transporte erledigt. Pferde befanden sich allerdings nur im Stall der Haupterwerbsbauern oder bei der Brauerei im Neckarhäuser Hof. „Das erste Auto in Mückenloch hat der Großvater gehabt“, berichtet Harald Suchomel. Das war wohl um 1935 herum. Der Lkw mit Holzvergaser, der nach dem Krieg fuhr, war ebenfalls im Gedächtnis geblieben. Dazu war ein Generator zur Holzvergasung hinter dem Führerstand gebaut. Im Kessel brannte säckeweise klein gesägtes Holz, was den Vergasungsvorgang in Betrieb setzte. Mit dem so entstandenen Gas wurde der jedoch nicht sonderlich leistungsfähige Motor angetrieben.

Verkehrswege und ärztliche Versorgung

Es gab einen Verbindungsweg zwischen Dilsberg und Mückenloch am Steilhang des Höllenberges, der um 1870 gebaut worden war. Die Neckarhäuserhof Straße entstand schon 1908. In den 1920ern wurde die Verbindung des „Neuen Wegs“, die heutige Waldwimmersbacher Straße, hergestellt. Als 1930 die Neckarkanalisierung mit Bau eines Stauwerks und eines Wehrstegs in Neckarsteinach erfolgte, erhielt Mückenloch eine direkte Verbindung dorthin und damit auch zur Bahnstrecke. Zuvor gab es lediglich eine Fährverbindung in Höhe des Campingplatzes Neckarsteinach, abgesehen von der Fähre am Neckarhäuser Hof. Den Wehrsteg nutzte übrigens auch Dr. Zahn aus Neckarsteinach, der mit seinem kleinen Renault über den Wehrsteg fuhr, um zur ärztlichen Versorgung Mückenloch zu erreichen, erinnert sich Suchomel weiter.

Damals wie heute: Lehrermangel

„Das waren Verhältnisse, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, meint Karl Linnebach. Er erinnert sich, dass er im heutigen Feuerwehr-Schulungsraum der Ortsverwaltung einst zur Schule gegangen ist. Damals gab es wie heute zu wenig Lehrer. Für acht Klassen, die in zwei Räumen unterrichtet wurden, standen gerade mal zwei Lehrer zur Verfügung. Seit seinem Bau in den Jahren 1912/13 wurde das Gebäude als Schul- und Rathaus genutzt. Zuvor besuchten die Kinder, die bis 1878 getrennt nach Konfessionen unterrichtet wurden, die Simultanschule in der Alten Schulstraße 5, dem einstigen katholischen Schulhaus.

„Da sind traurige Dinge passiert“

Linnebachs Satz beschreibt gut, was die kleine Ortschaft mit dem Ankommen der Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Krieg zu leisten hatte. Als es um die Verteilung der Ankommenden ging, bestimmten Bürgermeister und Ratsschreiber kurzerhand, wer wen und wie viele Personen aufzunehmen hatte. Den Mückenlochern war das verhasst. „Da sind traurige Dinge passiert und es gab böses Blut“, stellte Suchomel fest. Die Leute kamen an und hatten nichts. Aber auch den Mückenlochern war nur wenig geblieben und das Wenige musste nun geteilt werden. „Die Flüchtlinge wurden alles andere als mit offenen Armen empfangen.“

Arbeit für 50 Pfennig und ein Käsebrot

Alle suchten Arbeit und so befand man sich auch in Konkurrenz. Ein Traktor mit Anhänger holte die Flüchtlingsfrauen morgens ab und brachte sie zu den Feldern des Fürsten zu Löwenstein Wertheim Freudenberg. „Für 50 Pfennig und ein Käsebrot mit schön dick Quark obendrauf wurde gearbeitet“, sagt Peter Ehrenreich, der sich an den Satz „Wir gehen Kartoffeln stupfen!“ noch gut erinnern konnte. Im Laufe der Jahre haben sich die Heimatvertriebenen und Geflüchteten sehr gut eingebürgert und sind „richtige Mückenlocher“ geworden. Die Arbeiterinnen vom Langenzeller Hofgut tauchten auch gerne bei der Kerwe auf, wodurch so manches Paar zusammenfand, merkt Willi Wallstab an.

„Warsch’ wieda am Seegrabe, du schtinksch!“

Gespielt wurde auf der Gass’ und den Wiesen rings um Mückenloch. Im Gewann Sotten stauten die Kinder gerne den Bach ein. Für die Eisgewinnung zur Bevorratung des Biers im Keller der Bierbrauerei im Neckarhäuserhof wurde das Einstauen des Baches im Winter von den Erwachsenen betrieben und das gewonnene Eis in Wagen abtransportiert. „Das Eis hielt im Keller den ganzen Sommer über“, merkte die Runde an. Ganz besonders beliebt war der Ausflug auf den dörflichen Müllplatz am Seegraben, was natürlich untersagt war und gerade deshalb interessant. Da es dort immer vor sich hin kokelte, konnten die Kinder den Aufenthalt auch an ihrer Kleidung schlecht verbergen: „Warsch’ wieda am Seegrabe, du schtinksch!“ hieß es dann zuhause.

Scheine für jeden Geldwert

„Millionen an Reichsmark sind dort verbrannt“, meint die Runde schmunzelnd, um das nächste Thema anzusprechen: die Währungsreform, die den Westen Deutschlands 1948 ereilte. Davor und in der Kriegszeit war Einkaufen nur mit Lebensmittel- Marken möglich, die es monatlich im Rathaus gab. Butter, Mehl, Zucker oder Salz wurde offen verkauft und abgewogen: „Verpackungen so wie heute gab es nicht!“ Was ihnen von der Währungsreform noch gut in Erinnerung ist, dass es für jeden Geldwert nur Scheine gab: Einmarkscheine, Zweimarkscheine und auch Pfennigbeträge in Scheinen. Die D-Mark nahm den Platz der Reichsmark ein, die ihren Wert eingebüßt hatte und deren Scheine eben auf dem Müllplatz landeten.

Drei Gasthäuser

Von allem gab es zu wenig. Wer zu spät zum Bäcker kam, konnte keinen der beliebten Hefezöpfe ergattern und ging leer aus. Beliebt bei den Kindern waren die Bonbons, die in großen Vorratsgläsern mit Deckel aufbewahrt wurden. Was an Lebensmitteln benötigt wurde, fand sich im Dorf. Die Metzgerei war im Gasthaus Krone. Mit den beiden weiteren Gasthäusern Linde und Himmelreich war Mückenloch außerdem bestückt und ein Café Sonneneck gab es obendrein. Das Bier holte man direkt in Krügen in der Gastwirtschaft ab oder die Männer verbrachten den Abend dort und ließen sich von den Ehefrauen nach Hause holen.

Einziges Telefon in der Poststelle

Auch in der Posthalterstelle wurden nebenher Lebensmittel verkauft. Hier stand das einzige Telefon in Mückenloch. Mit „Hier ist die öffentliche Poststelle“ meldete sich Mückenloch bei Anruf. Das zweite Telefon war im Gasthof Himmelreich zu finden. Dabei handelte es sich um einen Kombinationsanschluss, den man sich mit einem Transportgeschäft teilte: Wenn dort telefoniert wurde, war die Leitung für Telefongespräche blockiert. 

Als die Holländer Mückenloch als Reiseziel entdeckten

Die 1950er Jahre brachten den Aufschwung in Deutschland wie in Mückenloch. 1950 wurde die erste Post-Omnibuslinie Neckargemünd-Mückenloch eröffnet und auch das Abwasserkanalnetz erfuhr einen vollständigen Ausbau. Die Holländer entdeckten Mückenloch als Reiseziel. 40 bis 50 Urlauber kamen mit dem Bus an und waren privat untergebracht – damals war das Himmelreich noch keine Pension. Um sich etwas dazuzuverdienen, vermieteten die Mückenlocher ihre Schlafzimmer. Badezimmer mit WC kannte man noch nicht, sodass man sich anderweitig behalf und bei Bedarf das Holzhäuschen neben dem Misthaufen aufsuchte. Gekocht hat man selbst und die Küche der Gastgeber mitbenutzt. Abends wurde in den Gastwirtschaften im Wechsel Musik gemacht. Da hatten auch die Mückenlocher ihren Spaß, zumal unter den Urlaubern hübsche Mädels zu finden waren. Nach zwei Jahren bis drei Jahren war wohl schon wieder Schluss, denn die Urlauber wurden anspruchsvoller und mit dieser Entwicklung konnte der kleine Ort nicht mithalten.

Nachrichten auf Hochdeutsch und im Dialekt

Informationen, die Ratsschreiber Alex Knauf zusammengetragen hatte, brachte damals der Gemeindediener unter die Leute – das geschah durch das sogenannte Ausschellen. Mit einer großen Schelle kündigte er sich an und verlas an ausgewählten Stellen auf Hochdeutsch und im Dialekt alle Bekanntmachungen – unter anderem auch das Kinoprogramm der Filmbühne Neckargemünd. Der erste Fernseher in Mückenloch stand übrigens wiederum im Gasthaus Himmelreich. Suchomel wusste noch, dass sein Vater den Nebenraum ausräumte, wenn ein Fußballspiel oder wenn der Rosenmontagszug übertragen wurden. Ein echter Renner war auch der Film „Soweit die Füße tragen“ (1959) mit Schauspieler Heinz Weiss.

Kirchturm stürzt teilweise ein

Ein einschneidendes Ereignis geschah 1974, als der das Ortsbild prägende Kirchturm der katholischen Cyriakuskirche bei Bauarbeiten am Kirchenschiff teilweise einstürzte. Die drei Kirchenglocken indes, von denen die beiden kleineren Glocken 1497 und 1499 gefertigt wurden und somit zu den ältesten Glocken in Deutschland zählen, konnten gerettet werden. Ein entscheidendes Jahr war auch 1975 erreicht, als die Frage anstand, ob sich Mückenloch eingemeinden lassen soll oder nicht. Die Lager waren gespalten, denn es gab auch die Option, mit Waldwimmersbach und Lobenfeld eine Gemeinde zu bilden. Die Abstimmung war knapp und fiel zugunsten Neckargemünds aus.

Französischer Präsident landet auf Sportplatz

Illustren Besuch verzeichnete die Gemeinde in den 80ern, als der französische Präsident François Mitterrand auf Einladung von Kanzler Helmut Kohl in den Landgasthof „Die Rainbach“ per Hubschrauber eingeflogen wurde und auf dem Sportgelände des BSC Mückenloch landete. Des Öfteren sah man Kanzler Kohl auch mit Ehefrau Hannelore am Neckarufer entlangspazieren gehen.

Heimatlied

Die Kerwe, die Kirchweih, ist das größte Fest im Ort neben den vielen sonstigen Vereinsaktivitäten. So kommt die Sprache auch auf Lehrer Heinrich Dötsch, der einst den Text für das stets bei der Kerwe erklingende Heimatlied verfasste: „Rings umkränzt von Bergeshöhen/Mückenloch, wie liegst du schön:/ In dem Frieden deines Tales/ bist du lieblich anzusehn./ Deiner Augen frisches Leuchten/ lobet den Schöpfer immerdar:/ Möge Gott dein Blühen segnen/ gütig weiter Jahr für Jahr./ Menschen kommen Menschen gehen,/ auch die Jahre ziehn vorbei,/ aber wer dich lieb gewonnen,/ bleibet alle Zeit dir treu./ Heimatdorf im schönen Tale,/ unser Wunsch ist es fürwahr:/ Möge Gott dein Blühen segnen/ gütig weiter Jahr für Jahr.“ Es fand Eingang in Willi Jakobs Büchlein „Begebenheiten, Sagen und Gedichte von Mückenloch“. Jakobs war übrigens der letzte Bürgermeister Mückenlochs bis zur Eingemeindung.

(du)

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Nussbaum Medien